- Januar 2024
Fake-Nuss: ZDF klagt über teuren französischen
Atomstrom – verrechnet sich dabei um das Zehnfache
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Von Alexander Wendt
So, 28. Januar 2024
Um explodierende Energiekosten sorgt sich das ZDF – allerdings im Nachbarland:
„Frankreich war lange bekannt für billigen Strom, doch die Kosten für den bisher günstigen
Atomstrom sind explodiert. Für Haushalte bedeutet das künftig höhere Stromrechnungen“,
meldete das ZDF auf der Webseite der heute-Nachrichten am 27. Januar 2024. Weiter heißt
es dort: „Der staatliche Atomkonzern EDF hat Schulden, fast 65 Milliarden. Ein Grund:
Bisher musste er einen Teil seines Atomstroms zu einem festgelegten Preis verkaufen –
bisher für 42 Cent pro Kilowattstunde, deutlich unter den Produktionskosten. Mit diesem
Preisdeckel ist bald Schluss. Ab 2026 verkauft Électricité de France (EDF) seinen gesamten
Atomstrom für rund 70 Cent die Kilowattstunde. Darauf haben EDF und die französische
Regierung sich geeinigt.“
An der Meldung sind zwei Dinge bemerkenswert: Erstens verrechnet sich der Mainzer
Sender schon einmal glatt um das Zehnfache. Ab 2026 endet tatsächlich eine alte Regelung,
die EDF bisher zwang, seinen Strom an andere Versorger für 42 Euro je Megawattstunde
abzugeben – also noch knapp unter den Gestehungskosten. Von 2026 ab steigt der Preis
auf 70 Euro pro Megawattstunde. Das bedeutet: von 4,2 auf 7 Cent je Kilowattstunde – also
auf ein Zehntel dessen, was das ZDF seinem Publikum erzählt. Außerdem gilt diese
Preissteigerung nur im Großhandel. Die Endkunden trifft sie, wenn überhaupt, nur marginal,
denn hier ist eine Kappungsgrenze für den Preis geplant.
Zum zweiten handelt es sich um eine alte Meldung aus dem November 2023, die das ZDF
mit grotesk verdrehten Zahlen noch einmal aufwärmt. Am 17. November 2023 meldete
beispielsweise Le Monde mit korrekten Zahlen: „L’Etat français et Electricité de France
(EDF) ont annoncé, mardi 14 novembre, avoir trouvé un accord sur le prix de l’électricité
d’origine nucléaire : à partir de 2026, le mégawattheure (MWh) serait vendu par EDF aux
alentours de 70 euros, soit nettement plus que le montant actuel – inchangé depuis 2011 – à
42 euros.“
Eine Preissteigerung von 4,2 auf 7 Cent je Kilowattstunde ab Werk stellt aus Sicht deutscher
Stromkunden kaum eine Horrornachricht dar. Der Endkundenpreis für eine Kilowattstunde
Haushaltsstrom bei einem Jahresverbrauch zwischen 1.000 und 2.500 Kilowattstunden liegt
in Frankreich bei 27,35, in Deutschland bei 43,36 Cent. Schon anhand dieser Zahlen hätte
den Verantwortlichen in der Nachrichtenredaktion dfes ZDF auffallen müssen, dass die
angeblichen 42 beziehungsweise 70 Cent je Kilowattstunde in Frankreich – wohlgemerkt ab
Werk, also noch ohne Steuern – unmöglich stimmen können. Selbst dann, wenn in Mainz
gerade kein Redakteur ausfindig zu machen war, der die Umrechnung von Mega- in
Kilowattstunde beherrscht.
In dem ZDF-Text finden sich noch einige andere bizarre Formulierungen. Dass Frankreich
überwiegend auf Atomstromerzeugung setzt, deutet das ZDF beispielsweise so: „Frankreich
ist abhängig vom Atomstrom“. Immer noch besser, mag sich der eine oder andere
Zuschauer denken, als von Sonne, Wind und Stromimporten.
„Zwischenzeitlich war etwa die Hälfte der gesamten französischen Anlagen nicht
funktionsfähig“, heißt es auf der Seite des Mainzer Senders weiter: „Um seinen Bedarf zu
decken, musste das Land sogar Strom aus Deutschland importieren.“ Tatsächlich standen
etliche Atomkraftwerke in Frankreich 2022 und 2023 still – einige, weil Korrosionsschäden
beseitigt werden mussten, andere wegen regulär anstehender Revisionen. Einige wenige,
insgesamt 5, drosselten ihre Leistung oder fuhren sie zeitweise ganz herunter, weil sich im
Sommer das Kühlwasser in Flüssen zu stark erwärmt hatte. Die Behauptung, die Hälfte der
französischen Reaktoren seien deshalb insgesamt „nicht funktionsfähig“ gewesen, ist
abwegig.
In der Zeit, als ein Teil der Kernkraftwerke aus verschiedenen Gründen stillstand, importierte
Frankreich zwar Strom aus Deutschland – exportierte aber gleichzeitig auch Elektroenergie
nach Italien. Dass Deutschland sich seit der Abschaltung der letzten Kernkraftwerke zum
Land stark steigender Stromimporte entwickelte, erwähnt das ZDF nicht. Ebenso wenig,
dass es sich bei etlichen deutschen Stromexporten in Wirklichkeit um die Entsorgung von
nicht speicherbaren Überschüssen in Nachbarländer handelt, teils für Negativpreise von bis
zu 500 Euro pro Megawattstunde.
Statt mit einem Experten zu sprechen, der die Zahlen und Proportionen wieder hätte
geraderücken können, zitiert der ZDF-heute-Beitrag noch eine Sprecherin von Greenpeace
in Frankreich: „Wir sollten aufhören, Atomenergie zu produzieren. Aber wir haben andere
Energieformen nicht genug ausgebaut, vor allem erneuerbare Energien. Jetzt stehen wir mit
dem Rücken zur Wand”.
Die gleiche Aktivistin kommt schon in einem Beitrag des ZDF-Korrespondenten in
Frankreich, Thomas Walde, zu Wort, der am 25. Januar 2024 über das Leiden der
französischen Verbraucher unter dem teuren Atomstrom berichtet. Waldes Beitrag beginnt
mit Aufnahmen einer Lehrerin, die sich erst einmal setzen muss, offenbar überwältigt von der
Elektrizitätsrechnung. Dann schiebt der Korrespondent ganz kurz ein, es gehe um mögliche
Preissteigerungen in der Zukunft. Sein Beitrag verkauft die gleiche alte Meldung über die
Steigerung des Atom-Strompreises von 4,2 auf 7 Cent pro Kilowattstunde als neue
Geschichte. Interessanterweise lässt Walde diese Zahlen allerdings komplett weg und
spricht nur von einer Preiserhöhung „um zwei Drittel“, garniert mit markigen Kommentaren:
„Frankreich zieht die Notbremse“. Greenpeace-Aktivistin Pauline Boyer darf verkünden:
„Atomkraft ist eine teure Energie.“ Damit die Botschaft auch wirklich sitzt, bekräftigt Walde in
seinem Kommentar noch einmal, Frankreich setze auf Energiesouveränität durch Kernkraft,
stelle jetzt aber fest: „Diese Souveränität hat einen hohen Preis.“
Nach vielen Hinweisen von Zuschauern und einer Presseanfrage des Autors korrigierte sich
das ZDF dann unter dem Text – ein bisschen.
Der Sender gibt in dem Korrekturkasten die Preise allerdings pro Megawattstunde an, ohne
den Kilowattstunden-Preis zu nennen – in der Hoffnung, dass auch viele Zuschauer –
genauso wie das ZDF – nicht umrechnen können. Die Anstalt verschleiert also, wie grob sie
daneben lag.
Fazit: Das ZDF versucht noch nicht einmal, den Anschein einer distanzierten
Berichterstattung zu wahren, wärmt eine alte Meldung auf, hantiert entweder mit grotesk
falschen Zahlen oder lässt konkrete Zahlen ganz weg. Das spricht nicht für ein Versehen,
sondern für eine absichtliche Manipulation.